Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle kennen die Zahlen, und wir haben sie gerade wieder gehört. Zahlen nehmen wir zur Kenntnis, aber ich versuche, es mal ein bisschen anders darzustellen: 12. November, Düsseldorf, 48-Jährige vom Ehemann mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt; 10. November, Vieritz, Mutter und Sohn vom Ehemann mit Waffe bedroht und festgehalten; 8. November, Cloppenburg, circa 60-Jährige vom Ehemann gewaltsam getötet nach ihrem Notruf.
Spätestens, wenn es in der eigenen Umgebung passiert, wenn es in der eigenen Heimatpresse steht, herrscht kurze Betroffenheit, und dann ist wieder Alltag. Aber der Alltag von unfassbar vielen Frauen in Deutschland besteht aus Gewalt. Also, noch einmal: Jede dritte Frau in Deutschland erlebt in ihrem Leben sexuelle und/oder körperliche Gewalt. 25 Prozent der Frauen erleben diese Gewalt in ihrer Partnerschaft, und Gewalt fängt nicht mit körperlichen Übergriffen an. Die Betroffenen sagen: Gewalt fängt mit Liebe an. Gewalt ist ein schleichender Prozess, der oft mit Kritik, mit Eifersucht, mit einer Beschimpfung, mit Kontrolle beginnt. Auch digitale Gewalt ist Gewalt. Auch psychische Gewalt ist Gewalt.
Jede dritte Frau in Deutschland – auch das ist wieder eine Zahl. Aber machen wir sie doch mal anschaulich. Gehen wir mal in die Reihen, und zählen wir mal durch. Jede dritte Frau! Auch in diesem Raum sitzen Frauen, die körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Aber erkennen wir diese Gewalt? Kennen wir die betroffenen Frauen? Kennen wir die Täter? Gewalt macht nämlich keinen Unterschied. Es ist Gewalt egal, woher die Frau kommt und wer sie ist. Gewalt kann jede Frau treffen. Nur darüber gesprochen wird so selten. Vor allem die Opfer sprechen nicht darüber. Vielleicht einmal und dann ein zweites Mal, und dann sagen sie es nicht mehr, weil Gewalt stigmatisiert. Aber es gibt mutige Frauen. Es gibt die Kampagne #DieNächste. Gucken Sie sich die mal an. Das sind unfassbar erfolgreiche Frauen, und jede dieser Frauen hat ihr Foto mit ihrem Klarnamen abdrucken lassen. Die Reaktion ist oft: Aber du doch nicht! – Doch. Denn Gewalt kann jede Frau treffen.
Weil das Dunkelfeld so groß ist, ist es genau richtig, dass die beiden Häuser BMFSFJ und BMI die Dunkelfeldstudie auf den Weg gebracht haben. Es ist richtig, Frau Ministerin Paus, dass Sie nun die weitere Umsetzung der Istanbul-Konvention auf den Weg bringen wollen. Ihre Pressemeldung dazu von vorgestern trägt die Überschrift „Bundesregierung beginnt Arbeit an Gewaltschutzstrategie“. An dieser Überschrift ist nur ein Wort falsch: das Wort „beginnt“. Ich frage mich, warum Sie nach zwei Jahren in dieser Regierung erst jetzt mit der Strategie beginnen.
Die Tagesordnung, die Themen, die Sie angehen müssen, liegen doch auf dem Tisch. Sie kennen sie, und Sie haben es in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Es fehlen noch immer Frauenhausplätze. Wir haben in der letzten Legislatur ein großes Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Das läuft eigentlich noch bis Ende nächsten Jahres. Aber schon seit April dieses Jahres können keine neuen Anträge gestellt werden, weil die Nachfrage so groß war. Was ist denn Ihre Antwort darauf, Frau Ministerin?
Und der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ – Sie bewerben ihn noch auf Ihrer Internetseite – ist in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht worden, gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen. Das Positionspapier liegt seit Ende 2021 vor, und Sie haben es in Ihrem Koalitionsvertrag angekündigt: Einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen soll es geben. – Wo bleibt denn Ihr Vorschlag nach zwei Jahren?
Und Sie beklagen die weiter bestehenden Probleme beim Sorge- und Umgangsrecht. Ja, in anderen europäischen Ländern folgt auf einen Gewaltvorfall in einer Familie direkt der Entzug des Sorgerechts beim Täter. Bei uns ist es umgekehrt: Die Opfer trauen sich oft nicht, es anzuzeigen, weil sie Sorge haben, das Sorgerecht zu verlieren, und beim Umgangsrechts des Täters geraten die Frauen so oft wieder in Gefahr.
Oder: Eine Wegweisung des Täters könnte – so in anderen Ländern praktiziert – direkt mit der Anordnung eines Antiaggressionstrainings verbunden werden. Oder: Wenn doch der Täter einem Annäherungsverbot unterliegt, warum wird das dann nicht mit einer elektronischen Überwachung des Täters in Extremfällen verbunden?
Wo, Frau Ministerin, sind Ihre Vorschläge? Wie weit sind Sie bei der Besprechung mit Ihrem Kollegen, dem Justizminister?
Dazu hätte ich gerne von Ihnen heute etwas gehört.
Gewalt gegen Frauen nimmt zu, und es ist an der Zeit, zu handeln. Wir wissen, was zu tun ist. Also setzen Sie das Gesagte und das Versprochene um. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite.
Vielen Dank.